Widerstand gegen die „Loyalitätsprüfung“

Die erklärte Loyalität, zu den Besonderheiten des kirchlichen Arbeitgebers und deren Einhaltung im beruflichen Handeln muss ausreichen.
Das erfordert bereits genügend Toleranz, Zurückhaltung und Flexibilität von mir als nichtreligiösem Menschen.

Aus „Loyalität und Religionsfreiheit“ – dem Protestschreiben gegen die geplante Loyalitätsprüfung eines diakonischen Arbeitgebers

Ich orientiere mich an einem humanistischen Weltbild, an Aufklärung, Fortschritt und Menschlichkeit. Angeregt durch die Beschäftigung mit Systemischen Denken, Philosophie, Kirchengeschichte, Humanismus und Evolutionstheorie trat ich aus der evangelisch-lutherischen Kirche aus.

Das führte zwangsläufig zu Diskussionen um mein Arbeitsverhältnis in der Jugendhilfe der Diakonie. Dabei sind auch gesellschaftspolitisch relevante Fragestellungen berührt. Der „dritte Weg“, gemeint ist das besondere Arbeitsrecht das die Kirchen für den Eigengebrauch entwickelt haben, ist die Grundlage der überzogenen Loyalitätspflichten, gegen die ich mich wehrte.

Diakonie und Caritas sind, nach dem Staat, der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands und wahrscheinlich gibt es viele KollegInnen, die unter dem kirchlichen Arbeitsrecht leiden – oft genug ohne die Möglichkeit, sich selbst gegen Diskriminierung wehren zu können.

In meinem Fall ging es um die Loyalitätspflichten und die Frage, ob ein aus der Kirche ausgetretener Mitarbeiter sich seinem diakonischen Arbeitgeber gegenüber beruflich loyal verhalten kann – oder ob ihm gekündigt werden muss. Diese Auseinandersetzung hatte folgenden Verlauf:

  • Vor dem Austritt habe ich eine Loyalitätserklärung unterzeichnet. Darum ging ich davon aus, weiter für die Jugendhilfe arbeiten zu können.
  • Mit der vom Arbeitgeber neu beschlossenen „Loyalitätsprüfung“ und der damaligen Auslegung der „AcK-Klausel“ wurde mir klar, dass ich als nichtreligiöser Mensch in den Diensten der Diakonie diskriminert werde und von Kündigung bedroht war.
  • Mit dem Schreiben „Loyalität und Religionsfreiheit“ zeigte ich meinen Widerstand, argumentierte und dokumentierte meine Meinung. Ich informierte die regionale Presse, da ich nur einer von vielen Betroffenen bin und das Thema gesellschaftlich als hoch relevant und wenig diskutiert einschätzte.

Religionsfreiheit bedeutet:
Freiheit zur Religion
UND
Freiheit von
Religion.

  • In der Folge veröffentlichten die Zeitung den Artikel Droht nun eine evangelische Inquisition?
  • Der Vorstandsvorsitzende meines Trägers ging, trotz der unvermindert strikten Haltung der Evangelischen Kirche Deutschlands (siehe Loyalitätsrichtline der EKD), in einem konstruktiv geführtem Zweiergespräch auf meine Argumente ein.
    Letzlich stand mir der Vorstandsvorsitzende eine  loyale Haltung zu, die im praktischen Dienst gelebt werde, dass mein Schreiben eine fällige Diskussion angestoßen habe und mein Austritt aus der Kirche nun „kein dienstliches Thema“ mehr sei. Das konnte ich als, zwar informelle, aber von höchster Leitungsebene vertretene Bestätigung für meine korrekte berufliche Haltung verstehen.
    Kritik hatte er am Begriff „Inquisition“ und der öffentlichen Auseinandersetzung. Außerdem würde diese Diskussion den innerkirchlichen Dialog zum Thema eher belasten.
  • Sechs Tage danach berichtete der Redakteur mit dem Artikel Kirchenkritiker darf weiter für die Diakonie arbeiten, dass ich, entgegen der Möglichkeiten des kirchlichen Arbeitsrechtes, keine Kündigung zu erwarten habe.
  • Am 10. März wurden noch vier Leserbriefe zu den Artikeln abgedruckt. Sie zeigen aus meiner Sicht den Aufklärungsbedarf zu den Hintergründen des Themas und den hohen Grad an Emotionalität rund um religiöse Überzeugungen.
  • In der Mitarbeiterzeitung wurde, ohne meinen Fall explizit zu benennen, beschrieben, „wie der Umgang mit bewährten Mitarbeitenden sein soll, die ihre Kirchenmitgliedschaft aufgeben“. Und siehe da: Mein Arbeitgeber ermöglichte ab diesem Zeitpunkt die formale Erklärung der Loyalität, kombiniert mit einem Gespräch mit dem Dienstvorgesetzten über berufliches Verhalten und verzichten auf die vorher propagierte Loyalitätsprüfung durch einen diakonisch Beauftragten. Ich sah mich in meiner Sichtweise gestärkt.

Meine Kritik zeigte Wirkung in der Institution und hat argumentativ, stärker als vermutet, überzeugt. Die Diakonie nutzte ihre Spielräume, folgte nicht der rigideren EKD-Linie und zeigte sich mir gegenüber seitdem als relativ (im Vergleich zu anderen kirchlichen Einrichtungen) toleranter Arbeitgeber.

Ich konnte seitdem offiziell als nichtreligiöser Mensch meiner Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe nach gehen, ohne „scheinheilig“ sein zu müssen.

Das ist bemerkenswert, weil sich die Kirchen in Deutschland weitgehende Sonderrechte erarbeitet haben und, gesetzlich geregelt, weder das Betriebsverfassungsgesetz noch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz anwenden müssen.

Die unzureichende Trennung zwischen Kirche und Staat sehe ich darum weiterhin als großes, ungelöstes gesellschaftliches Problem: Die Diskriminierung besteht fort, weil die Kirchen nach wie vor ihre Richtlinien zu Loyalitätsfragen „innerkirchlich“ nach jeweiligem Ermessen gestalten können. Sie unterlaufen, mit Hilfe von Ausnahmen für Religionsgemeinschaften, ansonsten gültige rechtliche Standards der Gleichbehandlung.

Einige Monate versuchte ich mich als nichtchristlicher Mitarbeiter mit der Diakonie zu arrangieren, die mich in die Klasse der Mitarbeitenden mit „anderen Aufgaben einteilt. Ich gehöre zu den Leuten die „ausnahmsweise“ Aufgaben übernehmen, bei denen geprüft wird ob sie „überhaupt notwendig wahrzunehmen sind“, muss dabei eine „deutlich bessere Eignung“ vorweisen und von mir wird erwartet, dass ich „der Erfüllung des kirchlichen Auftrags deutlich mehr dienen [werde] wird als eine konkurrierende Person mit evangelischem Bekenntnis“ usw. usf.
Noch dazu ist in der Richtlinie zu lesen: „Ein früherer Austritt aus einer christlichen Kirche lässt erwarten, dass eine Person nicht für den Dienst bei Kirche und Diakonie geeignet ist, da sie durch bewusste Abwendugn von der Kirche in besonderer Weise deren Missbilligung zum Ausdruck gebracht hat. …“
(Zitate aus der ARR Berufliche Mitarbeit der bayerischen Diakonie)

  • Im Januar 2018 reichte ich die Kündigung ein. Mit Hinweis auf die weiterhin diskriminierenden Regelungen im kirchlichen Arbeitsrecht und mit Dank für die kollegiale und nette Zusammenarbeit der letzten 21 Jahre. Der Konflikt resultierte lediglich aus meinem Kirchenaustritt, der zwar lange nicht bemerkt wurde und auch keine Folgen für meine tatsächliche Arbeit zeigte, aber mich zu einem höchstenfalls geduldeten Arbeitnehmer zweiter Klasse machte.
    Ohne Arbeitsvertrag bei der Kirche kann ich meine Kritik offensiv und öffentlich vertreten, das führte auch zur Mitarbeit bei GerDiA.

Hansjörg Albrecht

Februar 1, 2017

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